Anmerkungen zum neuen
Entwurf des § 42 KJHG
Positiv bewerten wir die deutlichere Betonung der
Aufnahme als Reaktion auf die Äußerung der Bitte des
Kindes oder Jugendlichen.
Problematisch wird sich die Veränderungen
hinsichtlich der Festlegung des Endes einer Inobhutnahme
auswirken.
- Was geschieht nach der
Entscheidung des Familiengerichtes – wo kann der
Jugendliche/das Kind bleiben?
- Was geschieht nach der
Einleitung des Hilfeplanverfahrens – wo kann der Jugendliche
/ das Kind bleiben?
Damit
ist der gesamte Bereich des Clearings, der Diagnostik, aus der
Inobhutnahme als gesetzlicher Auftrag herausgenommen und bekommt einen
anderen Stellenwert – vor allem unter dem Aspekt der
Steuerung durch das Jugendamt nach § 36a.
Bislang ist es in vielen Einrichtungen und Kommunen so, dass die
Inobhutnahme nach Abschluß der Klärung endet
– also dann, wenn die Inobhutnahme mit einer
Überleitung in eine anschließende
HzE-Maßnahme oder einer Rückkehr nach Hause endet.
Dies bedeutet, dass der gesamte zeit- und personalintensive Prozess des
Clearings oder der Diagnostik in der Inobhutnahme begleitet wird.
Auf diesem Wege wird vermieden, dass Kinder und Jugendliche, die
Beziehungsstörungen häufig manifest haben,
Wiederholungen in den Abbrüchen erleben, wenn sie in sog.
Übergangsgruppen oder –einrichtungen wechseln.
Aufgrund unserer Erfahrungen ist die besondere Situation einer
Inobhutnahme mit ihrer „gewissen“ Unverbindlichkeit
gerade für Jugendliche mit vielen Abbrucherfahrungen
hilfreich, um einerseits wieder am „Hilfesystem“
anzudocken und andererseits durch die vielen Aufnahmen und Entlassungen
immer wieder mit der Frage
ihrer eigenen Perspektive intensiv konfrontiert zu werden. Dies
führt nach unseren Erfahrungen zu einem hohen Anteil von
Jugendlichen, die mit Begleitung intensiv eine Rückkehr ins
Herkunftssystem prüfen. Auf diese Weise spart eine
kurzfristige intensive Begleitung Mittel aus dem Topf der Jugendhilfe
und ist deutlicher Ressourcen orientiert.
Mit der neuen Regelung ist zu befürchten, dass die Clearing-
oder Diagnoseaufgabe von der Inobhutnahme getrennt wird und zu erwarten
ist, dass angesichts der leeren öffentlichen Kassen die
Pflegesätze in der anschließenden
HzE-Maßnahme, die gewissermaßen auch
Clearing-Funktion haben wird und muss, gedrückt werden und
damit auch deutlich die Qualität der
sozialpädagogischen Intervention und auch der
Interventionsmöglichkeiten der Jugendhilfe sinkt.
Dies führt in der Konsequenz zur Verkleinerung der
Tür in die Angebote und Hilfsleistungen der Jugendhilfe aus
dem Blickwinkel der Kinder und Jugendlichen. Gerade angesichts der im
Moment sehr restriktiven Auslegung der Ansprüche aus dem SGB
VIII und der herrschenden Tendenz, Kinder und Jugendliche ins
Herkunftsumfeld bzw. Elternhaus zurückzuschicken, kann dies zu
einer deutlichen Beschneidung und Kappung der Rechte und
Möglichkeiten von Kindern und Jugendlichen führen.
Der Verlust des Zeitfensters, welches bisher vorhanden war,
nimmt auch dem Jugendamt Möglichkeiten im Bereich der
Vermittlung und Verhandlung zwischen den Konfliktbeteiligten. Die
Beteiligten ( incl. JA ) werden zu schnellen Entscheidungen gezwungen,
was sich gerade in familiären Konflikten, die von
Kränkungen und gegenseitigen Verletzungen geprägt
sind, kontraproduktiv auswirkt.
In der Praxis zeigt sich, dass es einen erheblicher Anteil von Eltern
gibt, die bereit sind, einer Inobhutnahme zuzustimmen – oder
zumindest nicht zu widersprechen -, um die Konfliktsituation zu
klären, keinesfalls aber einen Antrag auf Fremdunterbringung
unterschreiben würden. Die Folge wäre ein Ansteigen
der Anträge beim Familiengericht und damit die Verlagerung von
klassischen Jugendhilfeaufgaben – Klärung von
Familienkonflikten – zur Justiz.
Bedauerlich
finden wir in der Neufassung den Wegfall der
Sicherstellungsverpflichtung des Jugendamts für den Unterhalt
und die Krankenhilfe. Dies ist nicht mehr eindeutig formuliert und
würde deshalb bestimmt dazu führen, dass sich
einzelne Jugendämter weigern bestimmte Unterbringungs- und
Krankenhauskosten zu übernehmen.
Das
Ende der Inobhutnahme ist in Absatz 4 Nr. 3 mit einem unbestimmten
Rechtsbegriff besetzt. Wann ist ein Hilfeplanverfahren eingeleitet?
Wenn wir die Beteiligten an einem Tisch haben oder die Einladungen dazu
verschickt haben ? Hier wäre eine deutlichere Definition
hilfreicher, wie z.B. Einsetzen einer Folgehilfe oder
Durchführung der geplanten Hilfe.
Die
Herausgabe des Minderjährigen an einen
Personensorgeberechtigten bzw. die Einschaltung des Familiengerichts
hat unverzüglich nach Klärung der Krisensituation zu
erfolgen. Hier wird u.E. eine etwas breitere Zeitphase zur
Klärung eingeräumt und erstmalig definiert. Bisher
hätte das JA ohne Zeitverzug über Herausgabe
entscheiden müssen. Außerdem wird das JA nochmals
deutlich – wie in Abs. 2 - zur Klärung der Situation
verpflichtet.
Positiv ist auch die eindeutige Erwähnung von
minderjährigen Alleinreisenden als Anspruchberechtigte.
Gegen eine Streichung des §43 gibt es
keine Einwände, da die gesetzliche Grundlage für die
Herausnahme des Kindes oder des Jugendlichen ohne Zustimmung des
Personensorgeberechtigten, nun in den §42 mit eingeflossen ist.
Andreas Neumann-Witt
Rüdiger Riehm
Graham Lewis
AKI,
2005
|