Tagung des Arbeitskreises Inobhutnahme der IGFH
vom 10.11. – 12.11. 2004 in Potsdam
Vom 10. – 12. November
2004 fand in Potsdam die Herbsttagung des Arbeitskreises Inobhutnahme
der Internationalen Gesellschaft für erzieherische Hilfen
statt. Das diesjährige Treffen wurde ausgerichtet vom
Jugendnotdienst „Fluchtpunkt“ der Stadt Potsdam. An
der Tagung nahmen Vertreterinnen und Vertreter von
Inobhutnahme-Einrichtungen in freier und öffentlicher
Trägerschaft aus 17 Städten teil.
Dies waren Aachen, Berlin, Bremen, Chemnitz, Eschborn, Freiburg, Gera,
Hamburg, Hörstel, Koblenz, Leipzig, Minden,
Neumünster, Nürnberg, Potsdam, Rostock, und Stade.
Beherrschendes Thema waren die zu
erwartenden und zum Teil auch schon umgesetzten gravierenden
Sparmaßnahmen in den Inobhutnahme-Einrichtungen vorwiegend
freier Träger der teilnehmenden Städte.
Auf Grund der in allen Städten zurück gegangenen
Aufnahmezahlen im laufenden Jahr 2004 und der angespannten Finanzlagen
der Kommunen wird es in zahlreichen Einrichtungen zunehmend
schwieriger, dem Spagat zwischen dem Versorgungsauftrag, der gesetzlich
geregelten Verpflichtung gegenüber den Kindern und
Jugendlichen und den wirtschaftlichen Anforderungen der Einrichtung
gerecht zu werden.
Möglicherweise
könnten einige kleinere Einrichtungen gänzlich
aufgelöst und einzelne Angebote zusammengelegt werden. Dies
wird unter pädagogischen Gesichtspunkten als höchst
kritisch bewertet, da dies auch mit einer deutlichen Standardabsenkung
einhergehen wird, womit die mit dem § 42 SGB VIII
verknüpfte Aufgabe und Auftrag nicht im Sinne des Gesetzgebers
erfüllt werden kann.
Fachlich kritisch werden andere
„Zwischenlösungen“ oder Unterbringungen
unter Sparzwängen bewertet. Gerade im Rahmen der Inobhutnahme
- als eine wichtige Schalt- und Zugangsstelle im Rahmen eines hohen
gesetzlichen Versorgungsauftrages - erscheint es uns wichtig, hohe
fachlich Standards mit einer zeitlich befristeten Rahmen aufrecht zu
erhalten. Dies erscheint auf längere Sicht deutlich Kosten
bewusster.
Aus einem großen Teil der
im AK vertretenen Städte wird berichtet, dass das
Bereitschaftspflegemodell für die Inobhutnahme nicht nur von
Säuglingen und Kleinkindern, sondern nun auch für
ältere Minderjährigen in Krisensituationen von den
Jugendämtern der Städte zur Zeit intensiv
geprüft wird. Dabei scheinen teilweise pädagogische
Gesichtspunkte zu Gunsten finanzieller Erwägungen –
Einhalten von Budgets, etc. – in der Hintergrund zu treten.
Als Konsequenz dieser Haltung sind partiell schon Ansätze
einer veränderten Einstellung bei den Kindern und Jugendlichen
und deren Umfeld – Schule, Familienmitglieder, freie
Beratungsstellen, etc. – erkennbar, die diesen Zugang oder
diese Hilfe reservierter in Anspruch nehmen. Es wachsen
Überzeugungen, dass ihnen „eh` nicht geholfen
wird“, sondern nach der Bitte um Inobhutnahme ohne eingehende
Prüfung eine Rückführung nach Hause erfolgt
und erfolgen wird.
Von den TeilnehmerInnen des
Arbeitskreises wird zudem insbesondere die Unterbringung von
Minderjährigen mit Drogen- und Gewaltproblemen, die ja einen
erheblichen Teil der Adressaten ausmachen, in
Bereitschaftspflegestellen als kritisch betrachtet.
Ein thematischer Schwerpunkt der
Tagung lag bei der Entwicklung von Möglichkeiten, die
Aufenthaltsdauer der Inobhutnahmen zu verkürzen. So existieren
in verschiedenen Kommunen unterschiedlichste Modelle über die
Beendigung einer Inobhutnahme. Ganz häufig sind diese nicht an
inhaltliche Prozesse gekoppelt, sondern an eine Zeitschiene. Danach hat
entweder eine Entlassung nach Hause zu erfolgen oder aber eine Hilfe
zur Erziehung ist umzusetzen. Sollte das aus bestimmten
Gründen nicht möglich sein, muss die
fallzuständige Fachkraft dieses detailliert fachlich
begründen.
Anderen Orts wird erwogen, bei
Zustimmung der Sorgeberechtigten zur Inobhutnahme diese aufzuheben und
unverzüglich eine
Hilfe zur Erziehung zu bewilligen, statt wie erforderlich das fachliche
Clearing im Zusammenwirken der beteiligten Fachkräfte im
Rahmen des Hilfeplanprozesses abzuwarten, das die Grundlage bieten
kann, Möglichkeiten für einvernehmliche
Hilfepläne oder aber notwendige Entscheidungen des
Familiengerichtes zu erlangen. Pädagogische Fragestellungen
über den Stand der Abklärung oder Abwendung von
Notlagen spielen dabei aus der Sicht des Arbeitskreises der IGfH bei
weitem nicht die entscheidende Rolle, wie ihnen aus fachlicher und
rechtlicher Sicht zukommen müsste.
Über lange
Aufenthaltszeiten von Minderjährigen mit Drogen- und
Gewaltproblemen sowie von Kindern und Jugendlichen mit psychischen
Störungen etc. in den Inobhutnahme-Einrichtungen wird aus
allen beteiligten Bundesländern berichtet. Dies
verstärkt den fachlich pädagogischen Eindruck, dass
Inobhutnahme als eine Art Abstell- oder Parkplatz missbraucht bzw.
genutzt wird. Hier bedarf es fortgesetzt besonderer Aufmerksamkeit,
damit die Einrichtungen ihrer originären Aufgabe im
notwendigen und oben beschriebenen Umfang gerecht werden
können.
Der AK Inobhutnahme hatte im
laufenden Jahre 2004 an 133 Inobhutnahme-Einrichtungen im gesamten
Bundesgebiet einen
von ihm entwickelten Fragebogen zur Organisation der Aufnahme, des
Betriebes, der Finanzierung, der pädagogischen Ausrichtung etc. verschickt. 81
Bögen sind ausgefüllt zurück gekommen
– 15 Einrichtungen waren postalisch nicht erreichbar.
Die Auswertung wurde in Kooperation
mit Frau Professor Zitelmann, Universität Osnabrück,
durchgeführt.
Der Arbeitskreis hat die Auswertungs-Ergebnisse diskutiert und wird vor
deren Veröffentlichung in entsprechenden Fachzeitschriften erneut mit Frau Professor
Zitelmann ins Gespräch gehen.
Spannende
Punkte der Diskussion waren dabei die Personalausstattungen in den
jeweiligen Einrichtungen und unterschiedliche Pflegesätze.
Einer weiteren Betrachtung bedarf sicherlich auch der Umstand der
unterschiedlichen Einbindung der Einrichtung in das Hilfeplanverfahren
bzw. die Helfergespräche.
Die
fehlende Standardisierung einer Supervision wurde angesichts der
schwierigen und anspruchsvollen Arbeit ebenfalls kritisch betrachtet.
Die angegebenen Daten sollen noch in Korrelation zu den Standards
gesetzt werden, die der Arbeitskreis Inobhutnahme im Form des
Notfallkoffers – http://www.igfh.de/aki/ –
entwickelt hat.
Sozialpädagogische
Arbeitsinhalte und fachliche Standards der Inobhutnahme werden auch
Bestandteil weiterer Untersuchungen werden – auch ihm Rahmen
einer wissenschaftlichen Untersuchung durch Frau Professor Zitelmann
zur (sozial)pädagogischen Diagnostik, ihrer
Durchführung, Anwendung und Akzeptanz innerhalb der
Inobhutnahme.
In Berlin fand am 30.4.2004 ein
Fachtag zur
anstehenden Novellierung des
SGB VIII statt, an der Prof. Dr. Dr. hc. Reinhard Wiesner,
Bundesministerium Familie, Senioren, Frauen und Jugend,
und Prof. Dr. Peter Schruth, Hochschule
Magdeburg-Stendal, Stellung im
Kontext dieser Novellierung nahmen.
Der Arbeitskreis hat sich sowohl
mit den dort gehaltenen Referaten als auch mit dem geplanten
veränderten Gesetzestext-Entwurf vor allem im Hinblick auf
damit verbundene Veränderungen in der konkreten
Inobhutnahme-Arbeit befasst.
Der Gesetzentwurf ist inzwischen
von der Bundesregierung in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht
worden (Bundesratsdrucks. 586/04 vom 13.8.04).
Da auch der Arbeitskreis
Inobhutnahme in seiner eigenen Stellungnahme, sowie auch im Rahmen der
Einschätzung der IGFH, Veränderungsnotwendigkeiten
für den ersten Entwurf vom Frühjahr des Jahres 2004
angemahnt hatte, wurde mit Genugtuung aufgenommen, dass im Gegensatz
zum ersten Entwurf die Beendigung
der Inobhutnahme deutlich beschrieben wird. Eindeutig positiv bewertet
wurde die ausdrückliche Aufnahme der unbegleiteten
minderjährigen Asylsuchenden in den Kreis derer, die mit einem
Rechtsanspruch um eine Inobhutnahme bitten können. Auch die
Intention des Gesetzesvorhabens, eine intensive, an fachlich hohe
Standards gekoppelte Leistung mit der Inobhutnahme zu verbinden,
erachtet der Arbeitskreis Inobhutnahme als unabdingbar. Die vom
Arbeitskreis Inobhutnahme geforderten Standards mit einer intensiven
Beobachtungs- und Orientierungsphase auf fachlich hohem Niveau sind zu
gewährleisten, um nach den Gesetzesvorstellungen auch die
geeignete Hilfe für die jeweiligen Kinder, Jugendlichen und
deren Familien finden zu können. Gerade in diesen Momenten
sind mit einer hochwertigen und zielgenauen Intervention sehr positive
Effekte zu erzielen. So ist er auch ein ganz entscheidender Moment
für den weiteren Verlauf der Leistungen nach dem SGB VIII.
Hier können Grundsteine zum sinnvollen und auch im Hinblick
auf die vorhandenen Ressourcen effektiven Umgang mit unserem Klientel
gelegt werden.
Eine Begrenzung auf sehr kurze
Zeitfenster dieser anspruchsvollen sozialpädagogischen
Intervention dagegen wurde auch kritisch betrachtet, da der
Arbeitskreis Inobhutnahme befürchtet, dass die
Fortführung der Hilfen unter dem Kostendruck für den
ganzen Abklärungsprozess nicht auf einem u. E. notwendig hohem
pädagogischen Interventionsniveau wird aufrecht erhalten
werden können.
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