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Fachgruppe Inobhutnahme
AKI
der Internationalen Gesellschaft für erzieherische Hilfen (IGfH)

Frankfurt/Main
Sektion Bundesrepublik Deutschland
der Fédération Internationale des Communautés Educatives (FICE) e.V.

  

 

Anforderungen an die MitarbeiterInnen in Inobhutnahmeeinrichtungen 

 
Einleitung

Die (sozial-) pädagogische Arbeit mit Minderjährigen im Rahmen der Inobhutnahme unterscheidet sich vielfältig und auf z.T. gravierende Weise von anderen pädagogischen Tätigkeiten innerhalb der stationären Jugendhilfe oder in Familien, z.B. im Rahmen von (Bereitschafts-) Pflegestellen.

In einer stationären Wohngruppe oder einer Pflegefamilie sind die Abläufe, außer von den beteiligten Individuen, von Aspekten eines Hilfeplans, Einrichtungsroutinen oder regelhaften Tagesabläufen gekennzeichnet. Krisenhafte Verläufe zeichnen sich i.d.R. ab und lassen Zeit und Handlungsspielräume für Interventionen.

Dem gegenüber ist die pädagogische Arbeit in der Inobhutnahmeeinrichtung immer Krisenbewältigung bzw. -begleitung. Da Krisen nicht planbar sind, finden die Aufnahmen in solchen Settings ungeplant und regelmäßig ohne Vorbereitung, also ad hoc, statt. Die Inobhutnahme-Settings sind durch einen permanenten Wechsel neu ankommender bzw. das Setting wieder verlassender Kinder und Jugendlicher gekennzeichnet. Dabei ist die Verweildauer individuell extrem unterschiedlich: von wenigen Stunden, über Tage bis hin zu mehreren Wochen oder sogar Monaten.

Pädagogische MitarbeiterInnen in Inobhutnahmeeinrichtungen stehen vor der ständigen Anforderung, geplante Abläufe zurückzustellen, um sich Neu-Aufnahmen, krisenhaften Betreuungsverläufen oder allgemein neuen Entwicklungen zu widmen. Dabei gilt es, regelmäßig Gefährdungseinschätzungen vorzunehmen, den Focus bei den Kindern und Jugendlichen zu haben, telefonische Erreichbarkeit bzw. die Kommunikation zu den diversen Partnern außerhalb des Inobhutnahme-Settings aufrecht zu erhalten, z.B. zu Eltern, Polizei, KJP, sowie umfangreich zu dokumentieren.

Ein Inobhutnahme-Setting bedeutet ein hoch dynamisches Bündel von z.T. psychiatrischen und/oder komplexen Symptomatiken, ohne kohärente, stabile (Gruppen-) Situationen.

Sich auf dieses hoch dynamische „System Inobhutnahme“ einzustellen, stellt an die pädagogischen MitarbeiterInnen besondere Anforderungen. Nachfolgend sind diese benannt und kurz beschrieben.

Das Anforderungsprofil kann sowohl eine Entscheidungshilfe für BewerberInnen darstellen als auch Einrichtungsleitungen bei Einstellung und Mitarbeiterpflege unterstützen.

1. Flexibilität

Die MitarbeiterInnen in Inobhutnahmeeinrichtungen besitzen ein hohes Maß an Flexibilität. Gruppendynamische Prozesse und Anforderungen an diese können sich täglich verändern. Sie haben die Bereitschaft und die Fähigkeit, sich in jedem Dienst auf evtl. verändernde Anforderungen und eine veränderte Zusammensetzung der Minderjährigen einzulassen. Grundlage dafür ist ein hohes Maß an positiver Neugierde und das Eingehen, bzw. Loslassen neuer Arbeitsbeziehungen. Ebenso verfügen sie über eine offene (und wertfreie) Grundhaltung gegenüber neuen Minderjährigen und neuen Fragestellungen.

Elementar ist darüber hinaus die Fähigkeit, sich in partiell gleichenden Krisen und Notlagen motivieren zu können, individuelle Besonderheiten zu finden und zu erkennen, um dem jeweiligen Einzelfall gerecht zu werden. Für den Arbeitsalltag erfordert dies die Bereitschaft und die Fähigkeit, zugewandt und spontan die Anforderungen von Kriseninterventionen zu bewältigen und die Sicherung des Kindeswohles zu gewährleisten. Daher sind die MitarbeiterInnen in Inobhutnahmeeinrichtungen zeitlich und inhaltlich flexibel, sorgen für die entsprechenden Rahmenbedingungen und können so den individuellen Anforderungen gerecht werden.

 
2. Belastbarkeit – Individuum und Team

MitarbeiterInnen innerhalb einer Inobhutnahmeeinrichtung sind in hohem Maße belastbar.

Sie verfügen vor allem über Frustrationstoleranz, persönliche Bewältigungsstrategien, über eine ausgeprägte Fähigkeit zur Abgrenzung, Humor, Optimismus (Blick für die Lösungen) sowie Teamfähigkeit und behalten den Überblick in akuten herausfordernden Situationen.

 
3. Beziehungsfähigkeit auf begrenzte Zeit
         

MitarbeiterInnen sind gefordert, sich immer wieder neu auf Beziehungen zu den untergebrachten jungen Menschen einzulassen und dabei ein professionelles Nähe-Distanz-Verhältnis zu gestalten. Zum einen erfordert dies die Fähigkeit, schnell in Kontakt treten zu können. Zum anderen wird die Kompetenz benötigt, jederzeit in den Ablöseprozess einzusteigen.

 

4. Krisensicheres Handeln, Deeskalationsstrategien

Aufgrund der häufigen und unberechenbaren Krisensituationen in Inobhutnahmeeinrichtungen, ist das Beherrschen von deeskalierenden Strategien eine wesentliche Anforderung an die MitarbeiterInnen. Dazu sind ein selbstsicheres Auftreten, das Kennen der eigenen Grenzen sowie Handlungssicherheit notwendig.

 

5. Gesprächs- und Kommunikationskompetenzen

Im  Inobhutnahmeprozess finden besonders viele Erstgespräche und -Kontakte statt. Die notwendigen Kernkompetenzen der Kommunikation und der Gesprächsführung sollten ausgeprägt vorhanden sein. Dazu gehört auch die Kompetenz, Gespräche leiten zu können.

 

6. Systemisches Grundverständnis

Zur gelingenden Konfliktbearbeitung und Entwicklung von Perspektiven ist ein systemisches Grundverständnis in der pädagogischen Haltung der MitarbeiterInnen eine entscheidende Voraussetzung.

Systemisches Grundverständnis meint dabei, den Menschen und alle seine sozialen Bezüge als ein vielschichtiges System zu betrachten. Jeder ist in verschiedenen Beziehungen involviert und diese Beziehungen stehen in direktem und reflexivem Zusammenhang.

MitarbeiterInnen verfügen über eine Haltung, in der sie das Problemverhalten des Familiensystems als ein Lösungsverhalten betrachten können.

 
7. Multiproblemlagenkompetenz

Die MitarbeiterInnen einer Inobhutnahmeeinrichtung benötigen Wissen, das in die Tiefe und in die Breite geht. Sie sind bereit und in der Lage, dieses jeder Zeit zu erweitern.

Dazu gehören z. B. unvorhersehbare pädagogische, pflegerische und psychologische Anforderungen. MitarbeiterInnen können in sehr kurzer Zeit, mit wenigen Informationen aktuelle, sich kurzfristig verändernde und vielschichtige Problemlagen analysieren, Bewältigungsstrategien erarbeiten und Perspektiven entwickeln. Sie erkennen die möglichen Verflechtungen der Problemlagen, setzen Prioritäten und beziehen diese zur Lösung der aktuellen Krise ein.

 
8. Selbst – und Reflexionsfähigkeit         

Ein weiteres Element für eine erfolgreiche Arbeit im Kontext der Inobhutnahme ist im besonderen Maße die Selbst- und Reflexionsfähigkeit.

Dazu gehört die Fähigkeit, Prozesse, Abläufe, Personen und deren Verhaltensweisen und/oder Haltungen zu reflektieren. Die Selbstreflexion meint dabei auch die kritische Auseinandersetzung mit eigenen biografischen Erfahrungen und dem eigenen Handeln.

 
9. Entscheidungsfähigkeit und Entscheidungsfreude

MitarbeiterInnen aus Inobhutnahmeeinrichtungen müssen den Mut und die Fähigkeit haben, situationsabhängig und ggf. auf der Basis von wenigen Informationen zeitnah Entscheidungen zu treffen. Sie müssen ein Bewusstsein für die Tragweite ihres Handelns haben.

 
10. Administrationskompetenz, Verwaltungshandeln, Fähigkeit zur Dokumentation

Unabdingbar ist das Verständnis für die erhöhte Notwendigkeit von Dokumentation sowie die Fähigkeit zum Verwaltungshandeln. Dazu müssen Sachverhalte sowohl mündlich als auch schriftlich aussagekräftig und nachvollziehbar ausgedrückt werden können. Wissen über Rechtsgrundlagen und administrative Abläufe sowie Datenschutzbestimmungen sind dafür Voraussetzung.

 

11. Persönlichkeit, Haltung, Resilienz und Motivation

MitarbeiterInnen in Inobhutnahmeeinrichtungen verfügen über die Fähigkeit, auftretende Krisen mit allen Beteiligten lösungsorientiert zu bearbeiten. Sie strahlen Sicherheit und Glaubwürdigkeit aus. Mit zugewandter Haltung stabilisieren sie zunächst und entwickeln dann Perspektiven.

Die häufige Konfrontation mit äußerst belastenden Lebensgeschichten junger Menschen erfordert von den MitarbeiterInnen ein gefestigtes Auftreten und ein besonders hohes Maß an Resilienz, Selbstfürsorge und Psychohygiene.

MitarbeiterInnen müssen „aus dem Stand“ bereit sein, sich mit unterschiedlichsten Gegebenheiten, Problemlagen und Personen auseinanderzusetzen, ohne eine Auswahl der zu betreuenden  Person zu treffen.

 
12. Interkulturelle Kompetenz

Es ist von elementarer Bedeutung anderen Kulturen und Lebensmodellen jederzeit offen zu begegnen. Im Bewusstsein der Verschiedenheit müssen  MitarbeiterInnen bereit und fähig sein,  Gemeinsames zu erkennen und Unterschiede mit Interesse wahrzunehmen und in die praktische Arbeit umzusetzen.

 

Neumünster, 29.04.2016
Fachgruppe Inobhutnahme der IGFH                                          pdf